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Sind unsere Unis fit für das 21. Jahrhundert?
Es haben noch nie mehr Deutsche studiert als heute
Seit den 1960er-Jahren steigt der Anteil der Menschen mit einem Hochschulabschluss in Deutschland kontinuierlich an. Besonders in den letzten 14 Jahren wuchs die Zahl der Studierenden rapide. Doch mit dieser Entwicklung scheint erstmal Schluss zu sein. Die Statistiker schätzen, dass das vor allem an der Coronapandemie, durch die weniger ausländische Studierende nach Deutschland kamen, und an demografischen Faktoren liegt. Aber gibt es noch weitere Gründe?
Sind Universitäten im 21. Jahrhundert noch aktuell?
Universitäten sind als unabhängige Forschungsinstitutionen immens wichtig für unsere Gesellschaft, das hat sich auch während der Coronapandemie gezeigt, als Universitäten wichtige Beiträge zur Erforschung des Virus lieftern und gar Impfstoffe entwickelten. Doch wie sieht es im Bereich der Bildungsvermittlung aus? Sind jungen Menschen, wenn sie die Uni verlassen, auf das Leben in unserer sich schnell verändernden Welt von heute vorbereitet?
Die Technologie hat unser aller Leben verändert.
Wir können von zuhause aus arbeiten und Berufe ergreifen, die es noch vor einem Jahrzehnt nicht gab. Die Covid-19-Pandemie hat diese Prozesse noch beschleunigt. Die Universitäten stehen vor einer großen Herausforderung, um Schritt zu halten. Sollten sie sich stärker auf den Arbeitsmarkt konzentrieren? Können sie enger mit großen Unternehmen und Industrien zusammenarbeiten?
Was denken unsere Leserinnen und Leser?
Wir haben einen Kommentar von Junchen erhalten, der die Ansicht vertritt, dass wir einen Ansatz des lebenslangen Lernens fördern müssen, bei dem sich die Menschen während ihrer gesamten Laufbahn ständig weiterbilden, um mit den neuen Technologien Schritt zu halten. Hat er Recht? Und welche Rolle könnten die Universitäten bei einem Konzept des lebenslangen Lernens spielen?
Um eine Antwort auf Junchens Frage zu erhalten, haben wir uns an die Bildungsinnovatorin Anne Kjær Bathel gewandt, die Gründerin und Geschäftsführerin der ReDI School of Digital Integration, die kostenlose Programmier- und Computerkurse für Jugendliche in Deutschland und Dänemark anbietet, die sonst keinen Zugang dazu hätten. Was würde sie Junchen antworten?
💬 Ich stimme absolut zu, dass lebenslanges Lernen etwas ist, das jeder auf seinem Radar haben sollte… Man muss sich ständig weiterbilden können. Wenn man in seinem Beruf wettbewerbsfähig bleiben und gute Arbeit leisten will, muss man in der Tat ständig lernen. Ich denke, eine der wichtigsten Aufgaben der Universitäten ist es, den Menschen beizubringen, wie man lernt – wie man lernt zu lernen. Also zu verstehen, auf welche Art und Weise man persönlich am besten lernt, so dass man sich in Zukunft daran orientieren kann. Und ich denke, dass die Universitäten eine sehr wichtige Rolle bei der Förderung des kritischen Denkens und des Verständnisses spielen: Woher stammen meine Quellen? Wie kann ich verschiedene Quellen nutzen? Und wie kann ich dazu beitragen, diesen Wissensschatz zu erweitern, damit alle von unserer Forschung profitieren können?
Für eine weitere Perspektive haben wir Junchens Kommentar auch dem Wissenschaftler Prof. Dr. Georg Krücken, Direktor des International Center for Higher Education Research (INCHER-Kassel), einer Einrichtung, die sich auf die Untersuchung von Universitäten spezialisiert hat, vorgelegt. Was sagt er dazu?
💬 Ich denke, im Prinzip haben Sie recht, obwohl ich nicht von lebenslangem Lernen sprechen würde, sondern eher den traditionelleren Begriff „Weiterbildung“ verwenden würde. Lebenslanges Lernen ist für mich auch eine Art ideologisches Konstrukt, das von der Europäischen Union, der UNESCO oder der OECD und anderen internationalen Organisationen gefördert wird… Das macht vielleicht einen Unterschied, denn wenn man Weiterbildung nimmt, hat man eher einen Bottom-up-Ansatz, denn wenn man Weiterbildung machen will, wenn man sie richtig machen will, dann muss man berücksichtigen, was die beteiligten Akteure und Organisationen wollen, was die Unternehmen wollen, was die Arbeitnehmer wollen, was die Universitäten wollen, was die Universitätsprofessoren wollen, die vielleicht Kurse über lebenslanges Lernen anbieten, was sie wollen. Das ist vielleicht mein allgemeiner Ansatz.
Wir sollten eher sehen, was an der Basis passiert, was im Interesse der beteiligten Akteure und Organisationen ist und nicht, was vielleicht im Interesse von supranationalen Organisationen ist. In Deutschland zum Beispiel sind heute drei Prozent unserer Studenten in einer Art Dual Career Programm eingeschrieben. Duale Karriere bedeutet, dass sie einen zweigleisigen Weg gehen: auf der einen Seite haben sie eine Ausbildung in einem Unternehmen und auf der anderen Seite ein Hochschulstudium. Und hier kann man zum Beispiel sehen, dass Unternehmen und Universitäten in positiver Weise zusammenarbeiten, dass junge Menschen einbezogen werden, und das könnte eine gute Basis für die weitere Ausbildung sein. Und ich würde mich dafür einsetzen, dass es mehr solcher Interaktionen gibt, an denen natürlich auch Universitäten und Universitätsprofessoren beteiligt sind.
Als Nächstes schickte uns HJo einen Kommentar, in dem er argumentierte, lebenslanges Lernen sei gut für die Arbeitgeber, weil ihre Mitarbeiter in ihrer Freizeit kostenlos im Internet lernen würden. Aber ist das fair? Wie können Menschen ein lebenslanges Lernen in Angriff nehmen, wenn sie gleichzeitig einen Vollzeitjob, Familie und andere Verpflichtungen unter einen Hut bringen müssen?
Was würde Prof. Dr. Georg Krücken zum Kommentar von HJo sagen?
💬 Werfen wir einen Blick auf die bestehenden Praktiken. In Deutschland gibt es zum Beispiel die Möglichkeit für Menschen, die in Firmen arbeiten, einige Tage für Weiterbildung freizunehmen. Ich denke, das sollte genutzt werden, aber es sollte in einer, sagen wir mal, standardisierten Weise genutzt werden und nicht mit der Erwartung, dass Menschen, die in Firmen arbeiten, sich 24 Stunden, sieben Tage die Woche fortbilden müssen. Und ich denke, dass dies auch nicht im Interesse des Arbeitgebers des Unternehmens ist, denn es gibt inzwischen solide Forschungsergebnisse aus der Organisationsforschung und der Industriesoziologie, die zeigen, dass Unternehmen auch eine gewisse Stabilität ihrer Mitglieder benötigen. Diese Art von hyperaktivem Individuum ist vielleicht eine Utopie oder vielleicht eine Dystopie. Aber das hyperaktive Individuum ist sicherlich nicht das, was ein Unternehmen oder ein anderer Arbeitgeber – es könnte auch eine öffentliche Verwaltung oder eine NGO sein – will. Wir haben jetzt in Deutschland eine ziemlich hohe Burnout-Rate. Und deshalb denke ich, dass es im Interesse aller ist, einerseits Weiterbildung zu haben, aber andererseits auch eine gewisse Stabilität und Kontinuität in den Arbeitsverhältnissen zu haben.
Zum Schluss noch ein Kommentar von Magda, die argumentiert: „Wir brauchen viel mehr Flexibilität in der Hochschulbildung in Europa, einschließlich der Übertragung von Credits zwischen Einrichtungen und über Grenzen hinweg, einen EU-Rahmen für Mikrodiplome und eine größere Vielfalt an zertifizierten Akkreditierungsorganisationen.“ Hat sie Recht?
Was denkt Anne Kjær Bathel?
💬 Ich stimme Ihnen absolut zu, dass wir Flexibilität im Bildungssystem brauchen. Ich komme aus dem Bereich der Innovation, und wir sprechen von T-förmigen Menschen. Man kann über ein generalistisches Wissen über viele Dinge verfügen und dann in einer Sache in die Tiefe gehen. In der Mitte, wo sich das fundierte Wissen und das Allgemeinwissen treffen, haben wir eine große Chance für innovative und neue Ideen. Und ich denke, je mehr wir beide über dieses großzügige Allgemeinwissen verfügen, das im Laufe der Zeit entwickelt wird, entweder durch Online-Tutorials, Mikrozertifizierung oder auch nur durch den Austausch von Basiswissen mit Freunden und Kollegen, desto mehr können wir ein neues Verständnis entwickeln. Und wenn man das mit einer soliden Hochschul- oder Berufsausbildung kombinieren kann, hat das ein enormes Potenzial für bahnbrechende neue Ideen. Ich stimme absolut zu, dass wir die Menschen ermutigen müssen, sich weiterzubilden. Selbst wenn es nur ein eintägiger Workshop ist, den sie besuchen, oder wenn es ein kontinuierlicher Kurs über einen längeren Zeitraum ist. Je zugänglicher die Bildung ist, desto besser.
Sind unsere Unis fit für das 21. Jahrhundert?
Sollten Universitäten ein Konzept des lebenslangen Lernens fördern, bei dem sich die Menschen während ihrer gesamten Laufbahn ständig weiterbilden, um mit den neuen Technologien Schritt zu halten? Wie können Menschen einen Ansatz des lebenslangen Lernens verfolgen, wenn sie gleichzeitig einen Vollzeitjob, Familie und andere Verpflichtungen unter einen Hut bringen müssen? Schreib uns einen Kommentar und wir leiten ihn an Politiker:innen und Expert:innen weiter!
Photo by Vadim Sherbakov on Unsplash
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